POESIE IST EIN BEWUSSTSEIN FÜR DIE WELT, EINE BESONDERE ART, SICH AUF DIE
WIRKLICHKEIT ZU BEZIEHEN. SO WIRD DIE POESIE ZU EINER PHILOSOPHIE,
DIE DEN MENSCHEN DURCHS LEBEN FÜHRT · ANDREY TARKOVSKY
FLECKS TIME PRODUCTION
Unter dem Namen Flecks Time Production arbeiten die Schwestern
Franziska Fleckenstein (Drehbuchautorin, Regisseurin, Produktionsleiterin) und
Catharina Fleckenstein (Schauspielerin, Regisseurin) an Projekten, die sie gemeinsam
entwickeln und dafür verantwortlich zeichnen.
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STIMMEN ZUR PUBLIKATION
>Die Erinnerungen von Zeitzeugen haben einen unschätzbaren Wert.
Doch es liegt in der Natur der Sache, dass die Zahl derer, die ein Ereignis miterlebt haben, mit der Zeit abnimmt. Umso wichtiger ist es, die Erinnerungen dieser Menschen festzuhalten.
So geschehen ist es in dem Buch MENSCH SEIN, das nun mit einer Lesung in der Theresienkapelle
vorgestellt worden ist. Das Buch beinhaltet Erinnerungen und Berichte über das Singener Kriegsgefangenenlager.
Beispielsweise vom ehemaligen Insassen Günther Fleckenstein, dessen Kapitel von
seinen Töchtern Catharina und Franziska bearbeitet und kommentiert wurde. (…)
Auch der Bau der Theresienkapelle bleibt nicht unerwähnt.
Diese, so Dr. Carmen Scheide, Vorsitzende des Fördervereins und Herausgeberin des Buchs,
sei an Beispiel dafür, wie sich ehemalige Feinde versöhnen können. Die Kapelle sei ein Ort,
an dem an Menschen erinnert wird, die mit den Auswirkungen des Krieges leben mussten.
Krieg darf kein Mittel der Politik sein zeigte sich Carmen Scheide überzeugt.<
Wochenblatt Singen von Tobias Lange
>Ihr habt mit soviel Liebe, Verantwortung und Aufmerksamkeit die Zeit Eures Vaters in der
Gefangenschaft nochmals zum Leben erweckt, dass ich sehr beeindruckt war.
Es ist Euch gelungen, Distanz zu wahren und dennoch Nähe zu vermitteln.<
Astrid Jacob, Intendantin a.D., Regisseurin, Autorin und Schauspielerin
>Schon ein erster Blick hat mir gezeigt, dass Sie mit Ihrer Arbeit einen weiteren wichtigen Mosaikstein
zur Aufarbeitung von Krieg und Kriegsfolgen geleistet haben, gerade jetzt, wo es einerseits kaum noch Zeitzeugen des Zweiten Weltkriegs (und insbesondere der Kriegsgefangenschaft) gibt und andererseits Kriege auch in Europa zunehmend wieder zur „Normalität“ werden. <
Dr. Christoph Schmider, Erzbischöflicher Oberarchivdirektor
MENSCH SEIN · PUBLIKATION
Über den Text der Lesung hinaus, handelt es sich um eine literarische Dokumentation der Erlebnisse
eines jungen Menschen, der in den 1920er Jahren eine relativ unbeschwerte Kindheit in Mainz erlebte,
im Zweiten Weltkrieg Armeefunker in Norwegen wurde und bei Kriegsende in Gefangenschaft geriet.
Er hatte vergleichsweise Glück. Dennoch hinterließ diese Zeit tiefe Spuren. Viele Jahre später schrieb
er seine Erfahrungen auf. In verschiedenen Geschichten auf bestimmte Orte und Zeitabschnitte bezogen.
Es kommt alles wieder, was nicht bis zum Ende gelitten und gelöst wird, Hermann Hesse.
In diesem Sinne versuchen wir nachzuzeichnen, was unser Vater in den prägenden Jahren seiner Jugend
und seines Erwachsenwerdens erlebt hat. Wir haben seine Texte so zusammengestellt, dass ein
Gesamtbild entsteht.
Wie seine Erlebnisse und Geschichten auf uns Töchter gewirkt haben, erzählen wir aus der Sicht der
kleinen und großen Kinder.
Die Erinnerungen werden aus wissenschaftlicher Sicht durch Aufsätze von Dr. Carmen Scheide
DEUITSCHE KRIEGSGEFANGENE IN DER FRANZÖSISCHEN BESATZUNGSZONE SÜDBADEN:
DAS DÉPÔT SECONDAIRE 231 B IN SINGEN VON 1946 BIS 1948 und
Monika Scheide WEGGESCHLOSSEN - KUNST AUS KRIEGSGEFANGENENLAGERN
historisch eingeordnet.
Am 09.11.2024, 15:00 Uhr fand die Lesung in der Theresienkapelle Singen statt.
Es lasen und diskutierten die Autorinnen, Britta Panzer und Wolfgang Gellert.
In Zusammenarbeit mit dem Förderverein Theresienkapelle Singen e.V. und gefördert im Rahmen des Bundesprogramms Demokratie leben durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Sowie durch die Singener Kriminalprävention.
Herausgegeben von Dr. Carmen Scheide.
MENSCH SEIN · LESUNG
Ein Acker an der Fittingstrasse im Industriegebiet von Singen am Hohentwiel.
Hier wurden während des 2. Weltkriegs Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, die
zur Arbeit in Singener Betrieben oder in der Landwirtschaft im Hegau eingesetzt wurden,
in Baracken untergebracht.
Nach dem Krieg wurde das Lager für deutsche Kriegsgefangene genutzt.
Unser Vater kam im Winter 1946 dorthin. Er war 22 Jahre alt.
Im Frühjahr 1946 übernahm Capitaine Jean Le Pan de Ligny die Verantwortung für das
Dépôt 231 Bonaparte, camp de prisonniers de guerre. Unter seiner Leitung veränderte
sich das Lager von einem Hungerlager zu einem Musterlager.
Seinem Wirken ist es zu verdanken, dass die Gefangenen Lebensmut und Lebenswillen
entwickelten.
Noch heute ist die Theresienkapelle, die Capitaine de Ligny von Gefangenen bauen ließ,
sichtbares Zeichen der Versöhnung und Völkerverständigung. Sie ist die einzige noch erhaltene
Kapelle, die in der Nachkriegszeit von Gefangen gebaut wurde.
Unser Vater wurde von Capitaine de Ligny mit der Leitung der Varieté-Gruppe betraut.
Mit dem Geld, das die Gastspiele einbrachten, konnte für die Kriegsgefangenen Essen,
Zigaretten und sogar Alkohol besorgt werden.
Günther Fleckenstein (1924-2020) hat sehr viel später seine Erlebnisse dieser Zeit
schriftlich festgehalten.
Aus diesen Texten und den Briefen anderer Mitgefangener entstand die
Lesung Mensch Sein, anläßlich des 75-jährigen Bestehens der Theresienkapelle
am 14.Mai 2023.
Textauswahl von den Schwestern Fleckenstein.
Es lesen Wolfgang Gellert und Catharina Fleckenstein
Unterstützt vom Förderverein Theresienkapelle Singen e.V. und
der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Würtemberg
DER GENIUS LOCI VON SINGEN AM HOHENTWIEL
Es gibt einen starken persönlichen Bezug unsererseits zu diesem Ort in der Nähe des Bodensees.
Mit unserem Vater haben wir als Kinder zwei Mal Ferien in Hemmenhofen gemacht.
Von seiner Verbindung zu der Gegend wußten wir Schwestern damals noch nichts.
An einem Nachmittag fuhr er uns zielsicher an den Stadtrand von Singen, parkte das Auto an einer menschenleeren Straße und führte uns zu einer Kapelle, die einsam auf einer wilden Wiese stand.
Die Fenster waren zerbrochen, das ganze Gebäude wirkte ziemlich heruntergekommen.
Die haben wir damals gebaut, erklärte unser Vater.
Da er, unserer Erfahrung nach, nicht einmal einen Nagel in die Wand schlagen konnte, hinterließ diese Aussage bei uns Verwirrung.
Ein Name, der unser Leben begleitete, war de Ligny. Voller Dankbarkeit sprach unser Vater von ihm.
Erst später verstanden wir, dass es sich um Capitaine Jean le Pan de Ligny,
den Kommandanten des letzten Lagers seiner Kriegsgefangenschaft handelte, der sich in
bemerkenswert menschlicher Zuwendung um die deutschen Kriegsgefangenen gekümmert und
sogar den künstlerischen Werdegang unseres Vaters befördert hatte. Capitaine de Ligny
machte aus dem Dépôt secondaire 231 ein Musterlager. Er, der als Franzose allen Grund gehabt hätte,
sein Amt mit Ressentiments zu versehen. Das Gegenteil war der Fall. Er versuchte mit allen Mitteln,
die Gefangenen sowohl körperlich als auch geistig optimal zu unterstützen.
Männer, die, nach einem von Deutschland begonnenen und verlorenen Krieg, in Ungewissheit über ihr weiteres Schicksal schwebten, teilweise völlig perspektivlos und ohne Lebenswillen waren.
Schließlich ließ de Ligny innerhalb des Lagers mithilfe der Gefangenen, die in den notwendigen Gewerken die entsprechende Erfahrung hatten, die Theresienkapelle erbauen. Eine der vielen Maßnahmen für die Gefangenen, sich konstruktiv mit etwas zu befassen.
Zeuge der Veränderungen, die unter de Ligny in den Jahren 1946 bis 1948 stattfanden, war Wilhelm Waibel, der damals als Messdiener bei Gottesdiensten im Lager ein und aus ging.
De Lignys Verhalten hat auf ihn so viel Eindruck gemacht, dass er sein Leben der Aufgabe widmete,
die ukrainischen Zwangsarbeiter, die während des Krieges aus ihrer Heimat verschleppt
und im Lager an der Fittingstraße untergebracht worden waren, ausfindig zu machen und für ihre finanzielle Entschädigung zu sorgen. Vor allem aber organisierte er einen Austausch, um Freundschaft anzubieten und ein Entgegenkommen zwischen den ehemaligen Feinden zu fördern.
Waibel hat sich außerdem mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln für die Renovierung der Kapelle eingesetzt. Dabei ging es ihm nicht nur um den Erhalt eines kleinen Bauwerks, sondern um das, was es symbolisiert: Sinnstiftung in einer katastrophalen Zeit, Frieden und Versöhnung.
Capitaine de Ligny und Wilhelm Waibel bewiesen, dass das Handeln eines Einzelnen einen großen Unterschied machen kann zum Wohl der Menschen.
Um diese Botschaft nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, hat sich der Förderverein der
Theresienkapelle gebildet. Die Vorsitzende Dr. Carmen Scheide verpflichtet sich neben ihrer universitären Lehrtätigkeit in jeder freien Minute der „Sache“ der Kapelle.
Gleiches gilt für ihre Schwester Monika Scheide, die, nicht in Singen ansässig, sich aus der Ferne dafür einsetzt.
Hier trafen und treffen Menschen zusammen, die sich in besonderer Weise für
das lebendige Erinnern und Aufeinander-Zugehen engagieren.
Link zur Theresienkapelle hier
FRANZISKA FLECKENSTEIN
Nach Lehr- und Wanderjahren als Regieassistentin an verschiedenen Bühnen in München,
bei Tourneetheatern und den Luisenburg Festspielen Wunsiedel, wurde Franziska Fleckenstein
ins feste Engagement an das Pfalztheater Kaiserslautern engagiert.
Dort realisierte sie als Hausregisseurin ihre ersten Inszenierungen.
Es folgten Gastinszenierungen unter anderen in Hamburg am Ernst Deutsch Theater und
am Staatstheater Karlsruhe. Seit 1997 lebt sie als freie Regisseurin in Hamburg.
Darüber hinaus begann sie, andere Künstler als Produktionsleiterin zu unterstützen,
und als Dramaturgin und Autorin an Theater- und Filmprojekten mitzuwirken.
Seit 2021 ist sie als Autorin für Microlearnings und seit 2023 für E-Learning Kurse
unter Vertrag.
Mit Wolfgang Gellert und Rudolf Thoma nach der Lesung im November 2024.
Rudolf Thoma ist der letzte noch lebende ehemalige Insasse des Dépôt secondaire 231 B.
In Kürze wird er 100 Jahre alt. Den Titel MENSCH SEIN verdanken wir ihm.